Fitness – Nein Danke!

Ich versuche gerade wieder meine Nase zu berühren und während ich wieder nur bis zur Hälfte komme sehe ich in meinen geistigen Augen Bruce Lee vor mir, der – nach schwerem Kampf gezeichnet – sich wider der unnatürlichsten und wahnsinnigsten Schmerzen aufrappelt um den Gegner, der nicht fassen kann, dass Bruce immer noch nicht aufgibt, anstarrt – doch Lee winkt ihn heran, mit dieser ultra lässigen Bewegung der Finger der ausgestreckten Hand, und berührt dann, wie ich gerade, so wie er es immer Tat vor dem nächsten Kampf, mit seinen Daumen die Nasenspitze. Aber ich bin nicht Bruce Lee und ich scheitere. Ich rühre dafür weiter mit der linken Hand, die noch halbwegs ihren Dienst tut, in meinem 0,1% Joghurt und tippe unter Schmerzen wieder einmal “aua” in das Chat-Fenster, damit Statler es auch miterleben kann, wie verdammt ich leide.

Tag 1 unseres tollkühnen Vorsatzes, dass wir in nur wenigen Monaten wieder die Bikini-Figur haben (das müsste dann zur Eröffnung der Freibadsaison gegen Weihnachten sein), die wenigstens ich nie hatte, verlief noch weitgehend würdig auch an Tag 1 und Tag 2 nach Tag 1. Probetraining lässig angegangen und dafür extra mein Mike-Tyson-Outfit mit Original-Kordel-Graushirt mit Textil-Tattoo aus dem Schrank gekramt, das Frau unter Protest Jahr für Jahr nicht entsorgen darf, dazu die dreiviertel schwarze Short – zur Coolness hätte man die orthopädische Kniebandage vielleicht weglassen sollen, die man präventiv mal überzog.
Tag 1 war Probetraining und Beinarbeit, das geht, sowas kennt der Körper noch von den Radtouren, auch wenn die letzte Fahrradfahrt in die Arbeit bereits Wochen zurück lag und dazwischen ein körpertechnisch desaströser Non-Movement-All-inclusive-Urlaub lag. Aber der Körper ist merkfähig, was er einmal erlebte, vergisst er nicht und ist gewappnet, Beinarbeit gehört dazu.

Tag 2 dann die Anmeldung bei Ralle, dem Mucki-Bude-Chef, der schon wieder viel zu lässig war um wahr zu sein. Kein glattrasierter Vorstadt-Popeye, Ralle war lässig in seinem Trainingsanzug und halblangen Haaren, dazu locker und witzig. Sicher hat er genau deinen Traumwagen hinter der Mucki-Bude geparkt, ist genau so alt wie du und hat das Häuschen im Grünen mit der großen Einfahrt, von dem andere auch immer erzählen. Dabei hat er wahrscheinlich gerade mal die Realschule geschafft, während du bis kurz vor dem frühstmöglichen Renteneintrittsalter dein Studium beendet hast. Ralle macht unsere Mitgliedsausweise direkt vor unseren Augen fertig und wir sahen verdammt gut aus auf den Webcam-Bildern, die Ralle lässig aus der linken Hand von uns machte, während er mit der anderen unsere Anträge einscannte.

Tag 2 ist Oberkörper-Tag angesagt und damit Rudern statt Radeln im WarmUp. Danach gehts lässig in den Gerätepark, diesmal mit hellblauem Polo, weil Mike-Tyson leider in die Wäsche musste.
Eigentlich sehen die Geräte gar nicht so aus, als wären sie in der Lage dir nachhaltig Schmerzen zuzufügen, auch wenn die Namen spontan an “Bonecrusher” und “Bodybreaker” erinnern. Und – mal so im Ernst – 15 mal so ein Gewichtchen runterziehen ist ja wohl kein Fitness … wie man sich irren kann.
Nach bisschen Seilziehen ab zu den Übungen für die großen Jungs: “Hantelstemmen”. Da kann gleich mal drauf liegen bleiben, was der Vorgänger aufgelegt hat. Die sechs Scheibchen sollten ja machbar sein. Vielleicht auch nur 4, aber auch 2 sind ja ok. Wir nahmen dann alle für mich runter und legten so eine kleine an, das sah nicht mehr so martialisch aus – bzw. man musste schon genau hinsehen, ob man nicht die Stange allein da stemmte – dafür ließ sie sich jetzt bewegen. Ein Erfolg.

Tag 2 sollte mit noch bisschen was für Rücken und Bauch ausklingen. Butterfly Reverse – eigentlich hätten da Warnschilder stehen müssen, ein kleines Zäunchen außen rum und farblich ein Schutzraum eingezeichnet. Wer in aller Welt stellt eine Maschine wie Butterfly Reverse her? Und natürlich musst du das machen! Statler hatte schon zwei Sätze durch und da gibts nach dem Gesetz der Zwei-Jungs-in-Mucki-Bude kein Weg mehr vorbei. Butterfly Reverse. Ich brach im zweiten Satz nach 10 Wiederholungen ab. Ich ahnte bereits, dass das, was ich spürte, nicht das letzte mal der Moment sein wird, wo Butterfly Reverse mit mir reden wird.

5:28 – Ich muss mir was gebrochen haben. Ich wache auf, mit meinem Arm muss in dieser Nacht auf dramatische Weise etwas passiert sein, vielleicht von meinem eigenen Körpergewicht zermatscht. Unsägliche Schmerzen pulsieren in meiner rechten Extremität, ich wälze mich nur mühsam wieder in den Schlaf, hoffe auf ein Erwachen und den fünf Worten meines Hirns “Es war nur ein Traum!”

Tag 1 nach Tag 2 – Ich frage mich, wie ich mich rasieren soll, anziehen, aufs Klo gehen. Ich habe keine Lösung. Ich weiss, der Tag wird Leiden bringen, Schmerzen. Butterfly Reverse wird Tribut zollen, Tribut, dass ein Unwürdiger es wagte an seinen Seilmechanismen zu ziehen – und dabei hatte ich sogar noch den Stift des Unheils auf “milde” gesteckt. Doch Butterfly Reverse kennt keine Gnade mit blutigen Anfängern. Armseelige Muskelstränge, die du seit dem legendären Volleyballspiel 1989 im Zeltlager nicht mehr benötigt hattest, versinken in unsäglichem Leid und rufen dir hilflos zu “warum ich! wir hatten es doch so gut über die Jahre miteinander” – Symbionten eines leidfreien Lebens im Körper eines Büroangestellten – alles nun in Frage und auf den Kopf gestellt.

Die Mucki-Bude-Karte ist auf Platz 2 der Steckkarten-Plätze im Geldbeutel gewandert – für neugierige Blicke noch gerade so zu sehen, aber mit ausreichend Understatement. 12 Monate habe ich mich verpflichtet. 12 Monate mit Butterfly Reverse und seinen Freunden in einem Raum, die bereit und in der Lage sind dir wieder und wieder und noch wo ganz anders weh zu tun.

Es lebe der Sport, ich hoffe er lässt mich es auch tun.

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